Interview mit Franziska Redecker
Vegan ist hip. Doch während die pflanzenbasierte Ernährung von vielen als die gesündeste Ernährungsform dargestellt wird, sehen andere Menschen diesem Trend kritisch und argumentieren mit dem Risiko der Mangelernährung. Den meisten Menschen, die sich vegan ernähren, ist nicht nur der Gesundheitsaspekt wichtig, sondern auch der Schutz und das Wohl von Umwelt und Nutztieren. Als Ärztin und Fachfrau für vegane Ernährung äussert sich Franziska Redeker im Interview über die pflanzenbasierte Kost, ihren Nutzen und die Dinge, auf die man achten sollte.
Inke: Du machst gerade eine Ausbildung zur veganen Ernährungsberaterin. Warum hast du dich dazu entschieden?
Franziska: Ich habe mich vor einiger Zeit entschieden, meine Ernährung auf vegane Kost umzustellen. Durch den Austausch mit einem Freund, der sich schon lange vegan ernährt, habe ich von der Ausbildung zur veganen Ernährungsberaterin erfahren. Da ich Ärztin bin und vom Krankenhaus in eine Hausarztpraxis wechseln möchte, war es mir, neben meinem persönlichen Interesse an veganer Ernährung, wichtig zu verstehen, wie ich mich richtig und gesund vegan ernähre; denn viele Patienten kommen mit Ernährungsfragen in die Praxis. Als Ärztin kann ich mit dieser Zusatzausbildung noch viel besser und direkter darauf reagieren. Ich kann die Blutwerte kontrollieren und mit den Patienten einen sinnvollen Ernährungsplan abstimmen. Dabei ist mir wichtig, nicht zu missionieren.
Inke: Seit wann ernährst du dich vegan? Was war der Auslöser?
Franziska: Erst seit April 2019. Vorher habe ich mich vegetarisch ernährt. Meiner Entscheidung, vegan zu leben, gingen mehrere einschneidende Erlebnisse in meinem Leben voran. Ich war in dem Jahr in Sri Lanka, als es dort zu den Terroranschlägen kam und im gleichen Zeitraum verunglückte ein sehr guter Freund. Diese Erfahrungen haben mich aufgerüttelt und wach gemacht haben. Meine Sicht auf das Leben, auf Gesundheit und die Welt an sich hat sich verändert. Und mir ist plötzlich bewusst geworden, wie wertvoll das Leben ist! Durch die Entscheidung, mich vegan zu ernähren, möchte ich der Welt etwas zurückgeben.
Inke: Findest du, dass alle vegan essen sollten?
Franziska: Sollten? Vielleicht, aber missionieren ist nicht mein Ding. Könnten? Ich finde ja. Gesundheitlich hat die vegane Kost große Vorteile, wenn man – und das ist tatsächlich die Voraussetzung dafür – ein Bewusstsein für eine gesunde Ernährung und achtsames Essen kultiviert. Es funktioniert nicht zu sagen: „Ich bin jetzt vegan“ und man lässt einfach nur alle tierischen Produkte weg. Man muss ein Gefühl entwickeln und sich Wissen aneignen. Wie muss ich was kombinieren? Was und wie viel muss ich essen, damit ich alle wichtigen Nährstoffe aus der pflanzlichen Ernährung erhalten kann?
Inke: Was ist mit Kindern, Schwangeren und alten Leuten?
Franziska: Jeder kann sich vegan ernähren.
Wichtig ist zu wissen, dass Kinder und Schwangere mehr Nährstoffe und Vitamine sowie eine höhere Energiedichte brauchen als ein durchschnittlicher Erwachsener. Interessanterweise empfehlen weltweit nur die Deutsche und Schweizerische Gesellschaft für Ernährung, dass sich diese Gruppen nicht vegan ernähren sollten.
Inke: Kann eine vegane Ernährung Krankheiten heilen oder vorbeugen?
Franziska: Das größte gesundheitliche Problem in Deutschland ist das Metabolische Syndrom, dazu zählen Übergewicht, Bluthochdruck und Zuckerkrankheit. All diese Krankheiten lassen sich durch eine Ernährungsumstellung positiv beeinflussen. Da die vegane Ernährung in Deutschland noch jung ist, ist die Studienlage dazu noch sehr dünn. Aber Adipositas, Bluthochdruck und Zuckerkrankheiten kommen bei Veganern seltener vor, da sie in der Regel sehr wenig ungesunde Fette zu sich nehmen, dafür aber viel Obst und Gemüse und einen aktiven Lebensstil pflegen. Dadurch verringert sich auch das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Durchblutungsstörungen. Auch für Menschen mit Darmproblemen (Reizdarmsyndrom, aber auch chronisch entzündliche Darmerkrankungen) bringt die pflanzliche Ernährung einige Vorteile. Die Darmflora wird ins Gleichgewicht gebracht und es kommt kaum zu Verstopfung, Blähungen oder Durchfällen. Es gibt allerdings bestimmt Krankheiten, bei denen die vegane Ernährung nicht funktioniert. Z. B. ist es schwierig, bei einer Ballaststoffunverträglichkeit genügend Proteine und Nährstoffe in rein pflanzlicher Form zu sich zu nehmen. Aber das kommt sehr selten vor.
Inke: Warum haben so viele Menschen den Eindruck, dass es schwer ist, sich vegan zu ernähren? Ich habe z. B. oft den Eindruck, ich werde nur von tierischen Produkten satt.
Franziska: Das liegt an fehlendem Wissen und damit verbundener Unsicherheit. Es entsteht der subjektive Eindruck, dass ich mich nicht mehr adäquat ernähren kann. Und dazu kommt, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Es ist gemütlicher, alles so zu lassen, wie es ist. Für eine vegane Umstellung brauche ich Wissen, dafür muss ich mir Zeit nehmen und ich brauche attraktive und leckere Alternativen zu tierischen Lebensmitteln. Es braucht anfänglich mehr Zeit, sich beim Einkaufen damit zu beschäftigen, was welche Inhaltsstoffe hat. Wenn du das Gefühl hast, du wirst nicht satt, liegt es daran, dass du tendenziell zu wenig isst und/oder die Zusammensetzung deiner veganen Ernährung nicht stimmt. Daher wird empfohlen, täglich Tofu, Tempeh und Hülsenfrüchte anstatt Ei, Fleisch und Käse zu sich zu nehmen.
Inke: In Bioläden gibt es mittlerweile viele verschiedene vegane Produkte. Was hältst du von diesen veganen Fertigprodukten?
Franziska: Prinzipiell finde ich es gut, da diese Angebote zeigen, dass es mittlerweile normal ist, vegan zu leben. Als ich als Teenager unter den Symptomen einer Laktoseintoleranz litt, gab es gerade mal eine Sojamilch (lacht). Alles, was stark verarbeitet ist und viele gehärtete Fette enthält, wie z. B. Palmöl (viele Omega-6-Fettsäuren), führt zu einer Erhöhung der Cholesterinwerte und kann eine Verkalkung der Gefäße verursachen. Dazu kommt, dass in Fertigprodukten unfassbar viel Salz steckt. Das ist dann auch nicht gesund. Und Verpackungsmaterialien aus Plastik sind natürlich auch ein Problem. Leider ist das nicht zu Ende gedacht. Für mich bedeutet vegan zu leben auch weiter zu denken. Sich über die globalen und gesundheitlichen Konsequenzen bewusst zu sein.
Inke: Was bedeutet das z. B. für den Trend, vegane Burger zu essen? Sind die gesünder als Burger aus Fleisch?
Franziska: Das kommt darauf an. Ein Fertigburger-Patty ist hochverarbeitet und mit Sicherheit nicht gesund. Wenn ich ein Patty selbst mache, kann ich schlechtes Fett und Zucker vermeiden und dadurch die Qualität im Positiven erheblich beeinflussen.
Inke: Welchen Umweltaspekt hat die vegane Ernährung in deinen Augen?
Franziska: Mir geht es zum einen um die Tiere. Für mich haben sie einen hohen Stellenwert und ich bin dagegen, dass Tiere für meinen kurzen Genuss gequält und getötet werden. Zum anderen ist die Massentierhaltung für die Umwelt extrem schädlich. Z. B. werden unsere Rinder mit Soja aus Südamerika gefüttert: Für den Sojaanbau wird Regenwald abgeholzt und das Soja nach Deutschland transportiert, um dann wiederum das Fleisch unserer Tiere zu exportieren. Total absurd und sinnlos! Durch die Massentierhaltung entstehen zudem viel Mist und Gülle. Das darin enthaltene Nitrat reichert sich im Boden an und verschmutzt das Grundwasser. Im menschlichen Körper wird Nitrat in Nitrit umgewandelt und hat erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit. Dann möchte ich als Ärztin noch auf das Problem mit den Antibiotika hinweisen. Da die Tiere in der Massentierhaltung sehr eng gehalten werden und sich dadurch schnell verletzen, bekommen sie Antibiotika. Diese werden über den Stuhlgang ausgeschieden und landen ebenfalls im Grundwasser. Wir nehmen kontinuierlich Antibiotika zu uns, so dass sich in unserem Körper die mittlerweile bekannten Antibiotikaresistenzen bilden! Das ist ein Riesenproblem im Gesundheitswesen. Der Anteil der Agrar-und Ernährungswirtschaft an treibhauswirksamen Schadstoffemissionen (Methan, Distickstoffmonoxid (Lachgas) und Kohlenstoffdioxid) beträgt 33 % (Meier, 2013). Der Großteil der in der Landschaft anfallenden Emissionen (75 %) entfallen auf die Produktion tierischer Produkte. Auch der Wasserverbrauch ist immens: Für die Produktion von ein Kilogramm Rind werden 15.400 Liter Wasser verbraucht, für ein Kilo Kartoffeln nur 290 Liter!
Wie lange bin ich von einem Kilo Fleisch satt und wie lange von einem Kilo Kartoffeln?
Zusammengefasst verbraucht die Produktion tierischer Produkte sehr viel Energie und Ressourcen: für das Futter, den Transport von Dünger und Futter, den Tiertransport, das Schlachten, die Verarbeitung und die Lagerung im Kühlhaus. Bis dann das Stück Fleisch auf den Teller kommt, ist es ein langer Weg, der sehr umweltbelastend ist.
Wenn alle vegan leben würden und die gesamte Agrarfläche für den Anbau menschlicher Nahrungsmittel genutzt würde, müsste kein Mensch mehr Hunger leiden.
Über Franziska:
Franziska Redeker ist Ärztin und arbeitet in einer Allgemeinarztpraxis in Altona und hat sozusagen Gesundheit und Krankheit studiert. Sie begeistert sich neben ihrer morgendlichen Ashtanga Yoga-Praxis für vegane Ernährung und deren Einfluss auf die Gesundheit des Menschen.
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Claudia (Montag, 02 November 2020 17:19)
Es freut mich, wenn die vegane Ernährung immer präsenter wird. Das muss der Weg für unsere Zukunft sein.
Als Dank für deinen schönen Beitrag, würde ich mich sehr freuen, dich kostenlos bei einer Yoga-Stunde auf meiner Plattform:
www.aufdiematte.online
begrüßen zu dürfen.
Vielleicht bis bald!