Interview mit Dr. Ronald Steiner
Wie und warum funktioniert ein morgendliches Ashtanga Yoga Mysore Programm? Was braucht es dafür und welche Rolle spielt dabei die Motivation der Unterrichtenden? Diese Fragen beschäftigen und inspirieren uns immer wieder bei unserer Arbeit. Nicht zuletzt bringen sie uns auch dazu, unsere eigene Motivation, täglich in aller Frühe zum Unterrichten und selber Praktizieren aufzustehen, immer wieder zu hinterfragen. Auf der Suche nach Antworten haben wir Deutschlands bekanntesten Yogalehrer getroffen: Dr. Ronald Steiner
Motivation – Warum unterrichtest Du jeden Morgen Ashtanga Yoga Mysore?
Ron:
Ich liebe Yoga! Und es ist mir ein Anliegen, die Freude an einer eigenständigen Praxis mit anderen zu teilen. Der Unterricht im Mysore Style ist hierfür ideal. Denn, anders als in einer geführten Stunde, werden Lehrer und Schüler zu einem Team. So entsteht eine sehr persönliche und individuell auf den Schüler abgestimmte Yogapraxis. Der Schüler lernt von Anfang an, eigenständig zu üben.
Wie viele Schüler kommen in den Unterricht und wie regelmäßig?
Ron:
In der Regel treffen sich morgens ab 6 Uhr bei uns im AYInstitute Ulm zwischen 20 und 30. Das ist, finde ich, für eine eher kleine Stadt wie Ulm schon eine ganze Menge. Die meisten von ihnen kommen mehrmals pro Woche - ca. 3 bis 4 mal.
Mysore Style spricht Yogis an, die tiefer eintauchen wollen – sie möchten praktizieren und nicht konsumieren. Wer einmal die Begeisterung für eine eigenständige, individuell unterstützte Praxis entdeckt hat, für den ist Mysore Style der Unterricht der Wahl. Wer die Möglichkeit hat, kommt in der Regel dann auch mehrmals pro Woche. Kaum einer wechselt wieder zurück zu den geführten Stunden. Wer Mysore Style übt für den sind Yogastunden eher Inspirationen für die nächste eigenständige Praxis.
Wie sind die Schüler auf Dich aufmerksam geworden und zu Dir gekommen?
Ron:
Anfangs war Mysore Style in Ulm noch kein Begriff. Die Yogis konnten sich kaum vorstellen, wie gut es sich anfühlt, den Tag mit einer Yogapraxis zu beginnen. Daher waren meine Mysore Style Stunden anfangs oft Einzelstunden. Mehr Yogis kamen einfach nicht. Das hat meine Begeisterung an dieser Form des Unterrichts aber keineswegs eingeschränkt. Ich genieße es bis heute, wenn ich mit enthusiastischen Yogis so intensiv arbeiten kann.
Inzwischen kommt es allerdings so gut wie gar nicht mehr vor, dass am Morgen nur eine Handvoll Yogis in die Praxis kommt. Denn mit der Zeit hat es sich herumgesprochen, was es mit diesem Format auf sich hat. Die ersten Mysore Schüler wurden schnell zu regelmäßigen Teilnehmern. Freunde kamen dazu und dann wieder deren Freunde. So sind wir inzwischen eine ganz schön große Familie geworden.
Kann man (ausschließlich) mit einem Mysore morning Programm erfolgreich sein/sich davon finanzieren?
(Was glaubst Du, was das Wichtigste für ein funktionierendes Mysore Programm ist?)
Ron:
Unterricht im Mysore Style ist durchaus eine Herausforderung, die man nicht unterschätzen sollte. Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als ob es sich für den Lehrer um eine sehr entspannte Stunde handelt. Die Schüler üben ja schließlich selbständig. Auch muss sich der Lehrer keine Gedanken über eine Stundenvorbereitung machen. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit.
Denn, auch wenn ich kein ganzes Stundenkonzept im Vorfeld ausarbeite, bin ich trotzdem gefordert, denn ich helfe jedem Schüler individuell. Ich werde auf diese Weise mit jedem einzelnen Übenden zum Team. Besonders wichtig ist es mir dabei, jeden bei seiner ganz persönlichen Fragestellung zu unterstützen. Dafür brauche ich meine ganze Erfahrung als Praktizierender und mein komplettes Fachwissen als Lehrer. Auch yogatherapeutische Themen gehe ich oft mit meinen Schülern in den Mysore Style Stunden an.
Deshalb bleibt für mich der Mysore Style Unterricht jeden Tag aufs Neue spannend. Trotz meiner jahrelangen Erfahrung mit dieser Art des Unterrichtens, ist jede Stunde immer wieder neu und überraschend. Das genieße ich sehr.
Wenn eine Yogaschule ein Mysore Style Programm aufbauen möchte, dann sollte es von einem wirklich erfahrenen Lehrer geleitet werden. Ein unerfahrener Lehrer ist schlichtweg nicht in der Lage, den Übenden die Art von individueller Hilfe zu geben, die in einer Mysore Style Stunde notwendig ist.
Zudem sollte man als Yogaschule auch mit einer gewissen Regelmäßigkeit Mysore Style Stunden pro Woche anbieten. Denn der Mysore Style spricht vor allem Yogis an, die mindestens 3 mal pro Woche üben möchten. Ideal sind dabei sicher die Morgenstunden. Die Praktizierenden schätzen es meist, noch vor der Arbeit ihre persönliche Yogapraxis kultivieren zu können. Durch nur eine Mysore Style Stunde pro Woche oder Stunden, die mal morgens, mal abends stattfinden, können die Übenden nur wenig Regelmäßigkeit entwickeln. Solche einzeln verstreuten Mysore Style Stunden bleiben dann meist relativ wenig besucht.
Mit einem erfahrenen Lehrer, einem ausreichenden, regelmäßigen Angebot und viel Geduld füllen sich Mysore Style Stunden jedoch langsam aber stetig und werden zu einer echten Bereicherung im Stundenplan. Dennoch: Geld zu verdienen kann hier nicht die Motivation der Schule sein. In eine geführte Stunde kommen ganz eindeutig mehr Schüler – und das mit weniger Anforderungen an den Lehrer. Mysore Style ist deshalb eine echte Herzensangelegenheit!
TIPP:
Im November ist Ronald mit einem Workshop bei uns in Hamburg zu Gast.
Thema: Atem, Pranayama, Psyche – wie Pranayama entsteht.
Foto: Gabriel Aszalos
ronald steiner
Dr. Ronald Steiner (AYI® Founder) ist Arzt, Wissenschaftler und Sportmediziner sowie einer der bekanntesten Praktiker des Ashtanga Yoga. Er gehört zu den wenigen ganz traditionell von den indischen Meistern Sri K. Pattabhi Jois und BNS Iyengar autorisierten Yogalehrern. Die von ihm begründete AYI® Methode steht für traditionellen Ashtanga Yoga mit innovativer Yogatherapie. Körper und Geist finden so zueinander und gemeinsam in eine harmonische Balance. Mehr über Dr. Steiner, die AYI® Methode und die modulare Aus- und Weiterbildung für Yogalehrer und Yogatherapie unter: www.AshtangaYoga.info