Jobtausch für einen Monat

Interview mit Andreas Ruthemann

Yogalehrer ist für viele ein Traumberuf – nicht umsonst gibt es Ausbildungsangebote und Yogastudios wie Sand am Meer. Der Sprung in das neue Berufsfeld als Ausstieg aus der Tretmühle im Job scheint oft verlockend, sollte aber auch wohl überlegt sein. Denn auch Unterrichten ist letztendlich Arbeit und kann mitunter recht fordernd sein. Im März, als Jannika in Mysore war und ich einen kleinen Urlaub eingelegt habe, hatte Andreas, der im vergangenen Jahr seine Ausbildung bei uns absolviert hat, mal die Gelegenheit zu erleben, wie es sich anfühlt, seinen Job mal für einen Monat gegen den eines Yogalehrers einzutauschen. Ich habe mal nachgefragt:

 

Inke:  Im März bist Du hier im Studio als Urlaubsvertretung eingesprungen und hast einen Monat lang eine Reihe von Klassen übernommen. Wie hat sich das angefühlt?

 

Andreas: Das war schon eine Herausforderung. In diesem Monat hat sich mein Pensum mal eben von 3 auf 6 Klassen pro Woche verdoppelt. Da musste ich mir meine Zeit und Energie schon sorgfältig einteilen. 

 

Inke: Inwiefern war das anders als sonst?

 

Andreas: Es fühlte sich tatsächlich an wie ein Vollzeitjob. Mein Hauptjob ist in diesem Monat ziemlich in den Hintergrund getreten, das hatte ich vorher auch so eingeplant um mich auf die neue Erfahrung voll einlassen zu können. Für so eine 2- bis 2,5-stündige Yogaklasse kann mit Fahrtzeit und Vor- und Nachbereitung im Studio schon mal leicht ein Aufwand von 3,5 Stunden zusammenkommen. An Tagen, wenn ich sowohl morgens als auch abends unterrichtet habe, ging folglich nicht mehr viel anderes. An meinem ersten Tag war ich zwischendurch noch für ein paar Stunden im Büro. Das habe ich dann ganz schnell gelassen und beim nächsten Mal lieber zwischendurch in Ruhe gegessen und mich ein bisschen hingelegt. Schließlich will ich wach, aufmerksam und in einem guten Zustand in eine Klasse gehen und mich ganz den Schülern widmen können.

 

Inke: Hat sich Deine eigene Yogapraxis während der Zeit verändert?

 

Andreas: Da musste ich ein bisschen erfinderisch werden. Der ausgiebige Besuch von Mysore Klassen wurde eher zum Luxus. Um überhaupt die Regelmäßigkeit einer täglichen Praxis beibehalten zu können, habe ich viel alleine geübt. Manchmal im Anschluss an den Unterricht im Studio, oft auch zu Hause. Allerdings habe ich viel verkürzt, denn die Frequenz war mir wichtiger als die Länge der Praxis. Ein paar Sonnengrüße sind in jedem Fall besser als nichts. Es fühlt sich nämlich komisch an, wenn das Verhältnis von Unterrichten und eigener Praxis sich verschiebt und man nur noch Zuschauer ist. Das bringt mich aus dem inneren Gleichgewicht, erschwert den Zugang zu anderen Übenden und führt zu Unzufriedenheit. Die eigene Praxis ist auf jeden Fall grundlegender Bestandteil des Unterrichtens.

 

Inke: Mit welchen Erwartungen bist Du an die Aufgabe herangegangen? Und gab es Überraschungen?

 

Andreas: Erwartet habe ich nicht viel außer einer neuen Erfahrung. Allerdings hatte ich ganz schön Respekt vor der Aufgabe, meine eigene Lehrerin zu vertreten. Das erste Mal vor Deiner Klasse zu stehen war schon eine kleine Mutprobe. Mir war dabei aber von Anfang an klar, dass meine Klassen anders sein würden und ich nicht versuchen würde, Dich oder Jannika zu kopieren. Ich habe mich da auf meine Intuition verlassen. Überrascht war ich, wie viel Energie es kostet so viel zu unterrichten. Wenn ich in zwei Klassen mehrere Schüler in Supta Kurmasana geknotet oder in Dropbacks begleitet habe, spürte ich am Abend deutlich, was ich getan hatte. Es ist also extrem wichtig, beim Adjusten auch auf die eigene Körperhaltung zu achten.

 

Inke: Wie sind Dir die Schüler begegnet?

 

Andreas: Die Schüler waren durchweg offen und die Zusammenarbeit hat großen Spaß gemacht. Mit ein bisschen Geduld, Experimentierfreude und gegenseitiger Rückversicherung haben wir uns schnell eingespielt. Da ich nicht genau wusste, was welche Lehrerin mit welchem Schüler vorher gemacht hatte, musste ich mir mein eigenes Bild machen und habe überall dort angesetzt, wo es mir hilfreich erschien. Das war auch eine Chance, denn manchmal gelingen einem in neuen Konstellationen Sachen, die man vorher nie hinbekommen hat wenn man sich z.B. über längere Zeit in Vorbereitungshaltungen gemütlich einrichtet. Das wurde generell gut angenommen.

 

Inke: Wer war für Dich einfacher zu unterrichten – Anfänger oder Fortgeschrittene Schüler?

 

Andreas: Ganz klar fortgeschrittene Schüler. Bei denen kann man viel voraussetzen und meist reichen kurze Hinweise oder leichte Adjustments. Anfänger zu unterrichten ist auf jeden Fall herausfordernder. Das erlebe ich auch oft in meinen Ashtanga Intros. Obwohl dabei immer die selben Inhalte vermittelt werden, gab es noch keine zwei Intros, die komplett gleich abgelaufen wären. Keine zwei Schüler sind gleich. Manche haben Vorwissen, andere nicht. Manche sind beweglich, andere weniger. Manche lernen über Zuschauen und Nachmachen, andere über Erklären. Manche lernen schneller, andre brauchen mehrere Wiederholungen. Sich darauf immer wieder neu einzustellen, ist auch für den Lehrer ein ständiger Lernprozess und zeigt immer wieder neue Seiten der selben Sache.

 

Inke:  Was war der größte Lerneffekt für Dich? 

 

Andreas: Dadurch, dass Yogalehrer ein Trendberuf ist, den viele scheinbar einfach so nebenbei machen, habe ich das früher oft nicht ganz ernst genommen. Heute verstehe ich, dass es tatsächlich ein richtiger Beruf ist, der viel Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Einsatz erfordert. 

 

Inke: Und würdest Du wieder mal einspringen?

 

Andreas: Auf jeden Fall immer gerne. Für mich gibt es kein Zurück mehr. Das Unterrichten und die Weitergabe meiner eigenen Erfahrungen sind zum festen Bestandteil meines eigenen Yogaweges geworden. 

 

Inke: Könntest Du Dir vorstellen, irgendwann nur noch Yoga zu unterrichten – vielleicht sogar in einem eigenen Studio?

 

Andreas: Das wäre ein Traum aber momentan kaum umsetzbar. Um meinen Lebensstandard zu halten und ein bisschen Sicherheit zu haben, werde ich auf jeden Fall weiter zweigleisig fahren. Denn so schön das Unterrichten ist – um damit meinen Lebensunterhalt zu bestreiten und vielleicht sogar noch ein eigenes Studio zu unterhalten, müsste ich Tag und Nacht unterrichten. Bei dem Überfluss an Yogastudios wäre das zum einen schlicht naiv, zum andern möchte ich Yoga frei von Druck und Abhängigkeit halten. Mein alter Job macht mir immer noch Spaß und ermöglicht mir mit Leichtigkeit und Hingabe zu unterrichten. 

Aber vielleicht kommt am Ende auch alles ganz anders. Bisher bin ich immer sehr gut damit gefahren, keine großen Pläne zu schmieden, sondern mich einfach auf das einzulassen, was kommt. Zu Beginn meiner Ausbildung habe ich nicht mal im Traum ans Unterrichten gedacht.

 

Inke: Danke Dir noch mal für die Vertretung und das Teilen Deiner Erfahrungen.

 

Andreas: Danke Dir für Dein Vertrauen.


Über Andreas

Als langjähriger Ashtangi beobachtet Andreas, wie seine Yogapraxis nach und nach sein ganzes Leben auf den Kopf stellt – oder besser: zurechtrückt. Darüber, was ihm alles dabei passiert, schreibt er regelmäßig auf seinem Blog.

2016 hat er seine erste Yogalehrerausbildung bei Inke Shenar und Anna Rossow abgeschlossen.